Frau Öhlschläger ist die Hausdirektorin des Fachpflegeheims Engelbrand. Es handelt sich dabei um eine geschützte Einrichtung mit 100 Pflegeplätzen, verteilt auf drei Wohnbereiche. In der Einrichtung werden u. a. auch Menschen mit Demenz gepflegt. Frau Fulton leitet den Bereich der Alltagsbetreuung der Bewohnenden. Die Einrichtung gehört zur Evangelischen Heimstiftung GmbH. Der Träger versorgt in Baden-Württemberg insgesamt über 13.220 Menschen in 165 Einrichtungen.
PflegeDigital@BW:
Welchen Stellenwert hat die Kommunikation mit Angehörigen für Sie als Pflegeeinrichtung und welche Herausforderungen gab es hier in der Vergangenheit?
Katrin Öhlschläger:
Da wir als Facheinrichtung ein großes Einzugsgebiet haben, wohnen die Angehörigen meist nicht unbedingt in örtlicher Nähe. Die Angehörigenarbeit hat für uns aber dennoch einen großen Stellenwert, da ein regelmäßiger Kontakt zur Familie für die Bewohnenden sehr wichtig ist. Die Intensität ist jedoch individuell sehr unterschiedlich, manche Angehörige möchten viel Kontakt und stärker in den Pflegealltag eingebunden werden, andere weniger.
Martina Fulton:
Wir stimmen uns innerhalb der Einrichtung zwischen den Pflegekräften, Wohnbereichsleitungen und Alltagsbegleitenden individuell ab, wer die Kommunikation übernimmt. Das Mittel der Wahl war bisher das Telefon, aber auch E-Mails schreiben wir mittlerweile viel. In der Praxis ist das manchmal aufwendig zu koordinieren, da die Angehörigen oft berufstätig sind und nicht immer für uns erreichbar sind.
Welche Rolle hat hier die Covid-19-Pandemie im Hinblick auf die Digitalisierung in Ihrer Einrichtung gespielt?
Katrin Öhlschläger:
Die Covid-19-Pandemie hat bei uns für einen kräftigen Digitalisierungsschub gesorgt. Wir haben uns im Haus viele neue Kommunikationswege erschlossen, die wir früher nicht genutzt hatten. So mussten wir uns zu Beginn der Pandemie mit Telefon- und Videokonferenzen auseinandersetzen. Hier sind wir mit unserer Hardware an die Grenzen gekommen, da es bis dato nur einen Laptop für das Haus gab. Wir konnten aber glücklicherweise schnell reagieren und sind mittlerweile bestens ausgestattet und verfügen bspw. über einen eigenen modernen Medienwagen. Diese Neuerungen haben auch unter ökologischen Gesichtspunkten Vorteile, da wir uns jetzt nicht mehr für jede kleine Besprechung persönlich zusammenfinden müssen.
Martina Fulton:
Diese Entwicklung gab es auch bei den Bewohnenden. Zu Zeiten der Pandemie war es eine Herausforderung, trotz der Isolation eine gute soziale Betreuung zu gewährleisten. Um den Kontakt zu den Angehörigen sicherzustellen, haben wir auch hier intensiv die Videotelefonie genutzt. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass z. B. Menschen mit Demenzerkrankungen in diesen Situationen überfordert sein können und von kürzeren Sequenzen wie Videonachrichten mehr profitieren.
Wie sind die Voraussetzungen in Ihrer Einrichtung bei der digitalen Infrastruktur?
Katrin Öhlschläger:
Die infrastrukturellen Rahmenbedingungen in unserem Haus sind im Hinblick auf die Digitalisierung zum Teil etwas herausfordernd. Die Einrichtung wurde 1957 ursprünglich als Kinderkrankenhaus erbaut. Lange Zeit waren auch die Voraussetzungen seitens der Gemeinde für eine digitale Infrastruktur nicht gegeben. Mittlerweile gibt es aber einen Glasfaseranschluss und wir verfügen über kabelgebundenes Internet. Nach und nach werden nun auch alle Einrichtungen des Trägers mit einem WLAN-Netzwerk ausgestattet. In unserem Fall ist das jedoch wegen der baulichen Gegebenheiten ein größerer Aufwand, der z. B. mit geöffneten Decken und neu verlegten Kabeln einhergeht.
Sie nutzen seit einiger Zeit in Ihrer Einrichtung eine digitale Anwendung zur Kommunikation. Können Sie uns die Hintergründe und den Weg schildern, wie Sie dazu gekommen sind?
Katrin Öhlschläger:
Wir haben im Rahmen einer Leitungskonferenz unseres Trägers von der digitalen Anwendung „myo“ erfahren. Bei der internen Veranstaltung hatten sich verschiedene Start-ups aus der Pflege vorgestellt. Im Nachgang haben wir uns in einer Hauskonferenz abgestimmt, welche Lösungen wir davon ausprobieren möchten. Der Hersteller kam in der Folge zunächst für eine Präsentation in unsere Einrichtung. Im Anschluss hatten wir dann die Möglichkeit, das Produkt ausführlich zu testen.
Die Plattform von „myo“ haben wir dabei als einen interessanten Ansatz gesehen, um die Kommunikation mit Angehörigen zu verbessern. Wir hatten schon seit Längerem überlegt, wie wir als Einrichtung transparenter werden können und mehr Einblicke in den Pflegealltag geben können. Die regelmäßigen Besuche der Angehörigen finden oftmals zu den gleichen Tagen und Zeiten statt. So bekommt man aber nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus dem Alltag der Bewohnenden mit.
Gab es bestimmte Aspekte, auf die Sie bei der Auswahl der Anwendung besonders geachtet haben?
Katrin Öhlschläger:
Ein wichtiger Aspekt war, dass die Einführung und Nutzung eines solchen digitalen Kommunikationsmittels mit wenig Aufwand verbunden ist und keine Mehrbelastung für die Mitarbeitenden darstellt, sondern vielmehr auch zur Entlastung beiträgt. Zentral war dabei eine einfache Bedienbarkeit der Anwendung. Die Plattform von „myo“ orientiert sich bei der Funktionsweise an bereits bekannten Social Media-Anwendungen. Fast alle der Mitarbeitenden haben hier schon im privaten Umfeld Erfahrungen gesammelt. In diesem Zusammenhang hielt sich auch der Aufwand für Schulungsmaßnahmen in Grenzen.Darüber hinaus war uns auch das Thema Datenschutz sehr wichtig und dass die Anwendung DSGVO-konform ist.
Haben Sie für die Anschaffung von Hard- bzw. Software Fördergelder in Anspruch genommen?
Katrin Öhlschläger:
Die Anschaffungen, die wir getätigt haben, waren nicht sehr kostenintensiv. Daher haben wir uns dann an dieser Stelle auch nicht näher mit etwaigen Fördermöglichkeiten auseinandergesetzt.
Wie wird die Anwendung in der Pflegepraxis eingesetzt?
Martina Fulton:
Für den Einsatz von „myo“ steht für jeden Wohnbereich eine Softwarelizenz sowie ein Smartphone mit Mobilfunk bereit. Wir können Bilder, Sprachnachrichten oder kurze Videosequenzen aufnehmen und mit einem Text versehen. Anschließend wählen wir einen Wohnbereich aus sowie den entsprechenden Bewohnenden. Daraufhin bekommen die Angehörigen eine Mitteilung auf ihr Endgerät und können sich den Beitrag ansehen. Vorab wird natürlich individuell festgelegt, welche Angehörige zum jeweiligen Bewohnenden gehören und nur diese können die Inhalte einsehen.
Katrin Öhlschläger:
Vor Beginn der Einführung haben wir interne Admins für die Software festgelegt. Diese können neue Benutzenden anlegen, löschen und pflegen. Wichtig war uns, dass die Pflegekräfte in der Praxis die Anwendung sehr schnell nutzen können und der administrative Teil an anderer Stelle übernommen wird. Der Anbieter von „myo“ unterstützt hier auch insoweit, dass sie Angehörige selbst anschreiben und informieren sowie das Anlegen der Accounts übernehmen. Diese Möglichkeit nutzen wir seit Kurzem. So entsteht für die Einrichtung fast gar kein Aufwand im Zusammenhang mit der Nutzung.
Waren im Vorfeld des Einsatzes besondere Schulungen notwendig?
Katrin Öhlschläger:
Vor dem Start mit „myo“ haben wir eine ca. einstündige einführende Schulung des Herstellers zu den grundlegenden Funktionen und der Bedienung bekommen. Vor Kurzem gab es dann noch mal eine Nachschulung. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass in diesem Bereich der Digitalisierung auch viel über „Learning by Doing“ funktioniert. Wenn zwischendurch einmal Fragen aufkommen, können wir uns immer auf einen guten Support des Herstellers verlassen.
Welche Inhalte werden über die Anwendung kommuniziert?
Martina Fulton:
Man kann mit „myo“ Informationen schnell weitergeben, wenn z. B. eine Pflegecreme oder ein Parfum leer ist. Die Pflegekräfte können dann ohne großen Aufwand ein Foto machen und den Angehörigen schicken. Die Alltagsbegleitenden können darüber hinaus schöne Momente aus dem Alltag der Bewohnenden teilen, z. B. bei besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Feste. Vor kurzem habe ich zum Beispiel ein Bild versendet, wie eine Bewohnende gerade eine Tageszeitung las und der Angehörige kommentierte darunter „Hach, schön. Wie in früheren Zeiten“. Dadurch kann Transparenz geschaffen werden und der Pflegealltag für die Angehörigen erlebbar gemacht werden.
Katrin Öhlschläger:
Genau, es geht insbesondere darum, an diesen kleinen, aber sehr wertvollen Momenten auch aus der Ferne teilhaben zu können. Ich denke hier auch an das Lachen, wenn die Bewohnenden im Garten unterwegs sind und ein Eichhörnchen sehen. Darüber hinaus kann ich als Einrichtungsleitung aber auch wichtige organisatorische Informationen weitergeben, wie z. B. Einladungen zu Veranstaltungen, aktuell gültige Coronamaßnahmen, Informationen zu pflegefachlichen Themen oder auch die Vorstellung neuer Mitarbeitenden.
Wie sind die Erfahrungen im Hinblick auf die Nutzung der Anwendung von Mitarbeitenden und Angehörigen?
Martina Fulton:
Von den Angehörigen bekommen wir sehr positive Rückmeldungen. In Einzelfällen ist es erforderlich, dass wir bei technischen Fragen unterstützen. Für die Nutzung von „myo“ brauchen die Angehörigen entweder ein Smartphone oder einen Computer. Die Anwendung kann dann als Web-App genutzt werden oder in den jeweiligen App-Stores heruntergeladen werden. Viele Angehörigen sind grundsätzlich schon mit der Bedienung von digitalen Endgeräten vertraut. Wenn es mal Probleme gibt, unterstützen wir aber auch z. B. telefonisch bei der Installation oder hier vor Ort in der Einrichtung.
Katrin Öhlschläger:
Die Mitarbeitenden haben vor allem mit Offenheit und Neugierde auf die Einführung von „myo“ reagiert und im Anschluss sofort die neuen Möglichkeiten ausprobiert und genutzt.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie im Zusammenhang mit der Nutzung der Anwendung?
Katrin Öhlschläger:
Wie bereits geschildert möchten wir durch den Einsatz mehr Transparenz schaffen und den Angehörigen authentische Einblicke in den Alltag der Bewohnenden ermöglichen.
Darüber hinaus ist die Einführung auch insbesondere für die jüngeren Pflegekräften eine schöne Sache. An diesem Beispiel sieht man, dass Pflege auch Spaß machen kann. Das „mit der Zeit gehen“ motiviert die Pflegekräfte und stärkt auch die Bindung an unsere Einrichtung. Mir persönlich ist es wichtig, in diesen schwierigen Zeiten auch andere, positiv besetzte Themen nicht zu vergessen.
Im Hinblick auf Herausforderungen ist das Thema Datenschutz sehr präsent. Hier gibt es bei den Angehörigen teilweise noch Vorbehalte, denen mit einer ausführlichen Aufklärung und Informationen begegnet werden muss.
Welche weiteren Schritte haben Sie im Bereich der Digitalisierung geplant?
Katrin Öhlschläger:
Die Einführung von „myo“ ist für uns einer der Schritte auf dem Weg in die digitale Welt. Die Evangelische Heimstiftung hat zudem eine Entwicklungspartnerschaft mit dem Hersteller. In diesem Zusammenhang wird die Anwendung schrittweise in allen Einrichtungen ausgerollt und mit unserem Feedback weiterentwickelt. In unserem Fachpflegeheim nutzen mittlerweile schon 54 Angehörige der Bewohnenden dieses Angebot. Ich glaube, dass dies eine Entwicklung ist, die auch einfach ein bisschen Zeit braucht. Die Angehörigen tauschen sich natürlich auch untereinander zu ihren Erfahrungen aus.
Bezugnehmend auf weitere Digitalisierungsmaßnahmen hat sich in der letzten Zeit grundsätzlich schon sehr viel getan, z. B. mit Blick auf eine digitale Patientendokumentation und die digitale Terminorganisation. Es braucht hier zum einen Mitarbeitende, die dafür brennen und begeistert sind sowie eine Leitung, die vorangeht und die entsprechende Einstellung vorlebt. In der Folge geschieht es dann automatisch, dass die Vorteile erkannt werden und sich ein Sog entwickelt, der alle mitzieht. Hinterher fragt man sich dann, wie man es in der vorangegangenen Zeit je anders machen konnte.
Hier sind wird auch auf die weiteren Praxis- und Erfahrungsberichte von PflegeDigital@BW gespannt. Denn klar ist: Man muss zuallererst von Innovationen Kenntnis haben, um sich in der Folge näher damit auseinandersetzen zu können.
PflegeDigital@BW:
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch.