Herr Frank Ulrich ist Geschäftsführer der PARITÄTISCHE Sozialdienste gGmbH (PASODI), einem Dienstleistungsunternehmen, zu dem Einrichtungen mit etwa 500 Betreuungsplätzen und über 700 Beschäftigten an dreizehn Standorten sowie weitere Versorgungsangebote gehören. Der Sitz der Hauptverwaltung befindet sich in Stuttgart Möhringen.
PflegeDigital@BW:
Sehr geehrter Herr Ulrich, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Welchen Stellenwert hat das Thema Digitalisierung für Sie in der aktuellen Zeit, in der die Pflegebranche aufgrund verschiedener Krisen wie dem Fachkräftemangel vor besonderen Herausforderungen steht?
Frank Ulrich:
Auch in der gegenwärtigen Lage hat Digitalisierung bei PASODI einen großen Stellenwert. Denn Digitalisierung in der Pflege kann dabei unterstützen, den angesprochenen Herausforderungen zu begegnen. Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern stets Mehrwerte schaffen sollte wie z. B. Zeiteinsparungen und Arbeitserleichterungen für Pflege- und auch Verwaltungskräfte.
Seit dem 01.01.2019 gibt es gemäß § 8 Abs. 8 SGB XI die gesetzliche Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer Investitionsförderung, um Digitalisierungsmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen, insbesondere zur Entlastung von Pflegekräften umzusetzen. Welche Projekte konnten Sie bei PASODI bereits realisieren?
Frank Ulrich:
Vor etwa zwei Jahren haben wir begonnen, uns mit dieser Förderung intensiver auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt war damals die Inanspruchnahme im Zusammenhang mit der Anschaffung von Mobilen Dokumentationsassistenten bei unseren ambulanten Pflegediensten. In der Folge konnten hier die erbrachten Pflegeleistungen von den Mitarbeitenden direkt vor Ort vollständig digital erfasst werden. Durch die volldigitale Pflegedokumentation könnten wir zudem den gesamten Pflegeprozess verbessern und „modernes Arbeiten“ ermöglichen.
Auf der Grundlage der guten Erfahrungen im ambulanten Bereich haben wir uns dann entschieden, für die neun stationären Pflegeeinrichtungen von PASODI ebenfalls ein Projekt zu planen. In den Pflegeeinrichtungen war zu der Zeit noch eine ältere Pflegedokumentationssoftware im Einsatz, was an einigen Stellen für Probleme gesorgt hatte. Mit der Unterstützung durch die Förderung konnte die Umstellung auf eine moderne Pflegedokumentationssoftware von Vivendi Connext angegangen werden.
Das Förderprogramm ist so angelegt, dass lediglich ein Teil der anfallenden Kosten erstattet wird (40 % der Investition bis zu einer Gesamthöhe von 12.000 €). Wie bewerten Sie diese Ausgestaltung?
Unsere internen Berechnungen hatten gezeigt, dass sich die Umstellung auch mit unserer eigenen Investition bereits nach drei Jahren amortisieren würde. Es stellt sich hier die Frage, was eine Einsparung von Zeitaufwand wert ist, die sich auf allen Ebenen der Organisation (Pflegende, Verwaltung und Geschäftsführung) ergibt. In unserem Fall musste z. B. die Stelle einer in den Ruhestand gehenden Mitarbeiterin aus der Buchhaltung nicht neu besetzt werden. Der Abrechnungsprozess, der vorher mehrere Beschäftigte gebunden hatte, konnte nun durch die neuen digitalen Möglichkeiten deutlich verschlankt werden. Auch ich in meiner Position als Geschäftsführer habe durch die neuen Möglichkeiten einen umfassenderen Gesamtüberblick und kann z. B. detailliertere Auswertungen von pflegerelevanten Kennzahlen vornehmen.
Welche Herausforderungen sind Ihnen im Zusammenhang mit dem Förderprogramm begegnet?
Frank Ulrich:
Um die Einführung der neuen Pflegedokumentationssoftware zu finanzieren zu können, wurde für jede der Pflegeeinrichtungen ein eigener Antrag gestellt, um die Fördersumme bestmöglich abzurufen. Vor dem Hintergrund, dass sich unsere stationären Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg auf fünf Landkreise verteilen, gab es intern zunächst die Befürchtung, dass hier eine individuelle Abstimmung mit den jeweiligen Regionalstellen der AOK als Kostenträger notwendig sei. Dadurch wäre bei uns in der Folge ein immenser Verwaltungsaufwand entstanden. Hilfreich war, dass sich mit der AOK auf einen zentralen Ansprechpartner für die gesamte Korrespondenz und Abwicklung geeinigt werden konnte.
Wie verlief die Umsetzung des Projekts?
Frank Ulrich:
Eine Softwareumstellung in dieser Größenordnung ist sehr aufwendig. Das macht man nicht mal so eben ad hoc. Wir haben für die Einführung intern ein eigenes Projektteam zusammengestellt, wobei zumindest eine Person eine gewisse Technikaffinität aufweisen sollte. Als Zeitrahmen hatten wir zwei Jahre veranschlagt. Bei der Umsetzung haben wir uns für eine stufenweise Umstellung im laufenden Betrieb entschieden. Zu Beginn wurde zunächst ein neues Programm zur Dienstplangestaltung eingeführt und später dann das Abrechnungs- und Pflegedokumentationsprogramm ausgetauscht. Erst in einem letzten Schritt hat unser IT-Dienstleister dann den Umzug auf einen gemeinsamen neuen Server durchgeführt.
Welche Aspekte waren für den Erfolg ausschlaggebend?
Frank Ulrich:
Als wesentliche Schnittstellen, die für einen Erfolg eines solchen Projekts im Blick gehalten werden sollten, sehe ich die Abstimmung mit der Pflegekasse als Kostenträger, die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen dem IT-Dienstleister und dem Softwareanbieter sowie der trägerinterne Kompetenzaufbau und Wissensweitergabe im Zusammenhang mit der Praxisanwendung der neuen Software. Ein nicht zu verachtender Motivationsfaktor für unsere Mitarbeitenden an der Basis ist zudem auch, dass diese die neuen, gut funktionierenden und oftmals innovativen, Programme gerne benutzen und auch Spaß bei der Verwendung der neuen Software haben.
Wir hatten die Motivation unsere Mitarbeitenden bei der Umsetzung von Beginn der Softwareumstellung im Fokus.
Wie haben Sie sichergestellt, dass die Pflegeeinrichtungen und deren Mitarbeitenden gut in den Umsetzungsprozess des Projektes eingebunden waren?
Frank Ulrich:
Die Wissensweitergabe war hier ein wesentlicher Faktor. Wir haben zunächst auch bei den Einrichtungen auf eine schrittweise und nacheinander ablaufende Einführung der neuen Software geachtet. Mit der Zeit entwickelte sich so ein Erfahrungswissen bei den zuerst angeschlossenen Einrichtungen, welches dann zur Unterstützung der folgenden Einrichtungen eingesetzt werden konnte. Auch an dieser Stelle haben wir auf digitale Unterstützung zurückgegriffen. Ein Mitarbeiter hatte kurzerhand einen internen Youtube-Kanal genutzt, um hilfreiche Erklärvideos zur Bedienung der Software aufzunehmen. Im Rahmen der Förderung konnten zudem einführende Schulungsangebote des Softwareanbieters finanziert werden.
Welche Art Unterstützung wäre für Sie rückblickend im Zusammenhang mit der Förderung noch hilfreich gewesen?
Frank Ulrich:
Als wir uns anfangs mit dem Thema auseinandergesetzt haben, mussten wir uns viele Informationen selbst organisieren. Unser IT-Dienstleister konnte uns an der Stelle nicht weiterhelfen, auch von Vivendi gab es im Hinblick auf das Förderprogramm keine besonderen unterstützenden Angebote.
Hilfreich wäre es gewesen, wenn es bei der Pflegekasse einen spezifischen Ansprechpartner für die Detailfragen im Zusammenhang mit der Förderung gegeben hätte. Bestimmte Aspekte können hier schnell zu Fallstricken werden. Beispielsweise bei der Frage, wie damit umgegangen wird, wenn IT-Infrastruktur von Einrichtungen des Trägers gemeinschaftlich genutzt wird. Darüber hinaus war nicht immer ganz nachvollziehbar, welche der Aufwendungen erstattet werden. So konnte zwar entsprechende Hardware beschafft werden, notwendige Lizenzen waren aber z. T. von der Förderung ausgenommen.
Denn förderfähig ist beispielsweise das Beschaffen von Hard- und Software, wenn diese als Hauptzweck die Entlastung der Pflegekräfte verfolgt. So erhalten Sie etwa für die Lizensierung und Schulung der Pflegedokumentationssoftware eine Förderung, für damit einhergehenden IT-Sicherheitsanforderungen, beispielweise eine Firewall, keine Förderung. Wenn Sie diese Information erst mitten in der Umsetzung erhalten, ist das schwierig.
An welcher Stelle könnte das Förderprogramm Ihrer Meinung nach sinnvoll weiterentwickelt werden?
Frank Ulrich:
Der notwendige Nachweis im Zusammenhang mit der Vorgabe, dass die geförderte Maßnahme Pflegekräfte direkt entlasten soll, ist in der Praxis nicht immer ganz einfach. Ein beispielhaftes, durch die Kostenträger vorgetragenes Argument: Eine neue und moderne Pflegedokumentationssoftware würde die Pflegekräfte nicht direkt entlasten, da ja aktuell auch schon ein bestehendes System im Einsatz sei, ist hier meiner Meinung nach zu kurz gedacht und überzeugt mich nicht.
Ein Träger wie PASODI mit mehreren Pflegeeinrichtungen hat eine komplexe Organisationsstruktur und hinter jeder Pflegekraft steht eine Verwaltung, deren Ausgestaltung einen direkten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der Pflegekraft hat. Hier sollte meiner Meinung nach die Perspektive erweitert werden und auch die Verwaltung mitgedacht werden. Auch durch eine digitale Büroorganisation würden sich noch einige Potenziale heben lassen. Aktuell arbeiten wir an einer Umstellung auf einen digitalen Rechnungsversand, wodurch sich auch mit Blick auf ökologische Aspekte, Einsparungen bei den Portokosten im mittleren vierstelligen Bereich ergeben könnten.
PflegeDigital@BW:
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch.