Übersicht
Einführung
Am 7.3.2024 fand der 7. Fachtag des Landeskompetenzzentrum PflegeDigital@BW in der Liederhalle in Stuttgart statt. Es nahmen über 160 Menschen aus verschiedenen Pflegeorganisationen, pflegerelevanten Organisationen und der Politik an der ganztägigen Veranstaltung teil.
Kirsten Heiland und Jesse Berr vom Team des Landeskomptenzzentrums begrüßten die Teilnehmenden und führten in das Programm des Tages ein. Der Vormittag bestand aus einer Begrüßung durch Manne Lucha den Minister für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg und anschließenden Keynotes. In den Pausen hatten die Teilnehmenden ausreichend Zeit für inhaltlichen Austausch und Vernetzung. Am Nachmittag wurden Workshops zu verschiedenen Themen angeboten. In Tag wurde durch eine Panel Diskussion abgeschlossen.
Keynote : Ein Blick in die Zukunft
Dr. Christian Grünwald, Foresight Director bei Z_punkt
Dr. Grünwald sprach in seinem Vortrag über die angewandte wissenschaftliche Zukunftsforschung und deren Unterstützung für Unternehmen durch die Beratungsfirma Z_punkt. Zu Beginn erläuterte er die grundlegende Frage „Was ist überhaupt Zukunft?“. Dabei ging es darum, wie Ideen aus der Vergangenheit die Zukunftsvorstellungen prägen und man durch eine „umgekehrte Archäologie“ anhand aktueller Gegebenheiten Hypothesen für mögliche Szenarien ableiten kann.
Er betonte, dass Zukunftsforschung nicht dem Vorhersagen der Zukunft dient, sondern dem Herausarbeiten möglicher Zukünfte. Die Vielzahl der Möglichkeiten soll analysiert werden, um für spezifische Szenarien Handlungsempfehlungen ableiten zu können, die den künftigen Erfolg sichern.
Dr. Grünwald unterschied drei Zukunftshorizonte: verwaltend, gestaltend-innovativ und visionär. Er gab 12 Tipps, wie man der Zukunftsforschung erfolgreich begegnen kann, z.B. der Gegenwart nicht unreflektiert fortzuschreiben und klaren Prognosen zu misstrauen.
Megatrends, Technologie- und Gesellschaftstrends wurden als wichtige Ausgangspunkte für Zukunftsanalysen genannt. Dabei gehe es nicht um eine Fortschreibung, sondern die Frage nach den durch diese Trends ausgelösten Veränderungen, wie im Fall der digitalen Transformation.
Der Vortrag führte mehrere Zukunftshypothesen an, etwa zur Geopolitisierung ethischer Standards im Biotechnologiezeitalter, zur Verschmelzung von Virtual und Reality im Metaverse oder der Auflösung der Grenzen zwischen Behandlung und Verbesserung.
Abschließend thematisierte Dr. Grünwald die möglicherWeiterentwicklung der Sprache und Narrative im Pflegebereich, z.B. mit den Schlagworten „revolutionäre Behandlungsmethoden“ und „Selbstverbesserung“. Er mahnte, aktuellen Zukunftsnarrativen kritisch zu begegnen.
Keynote : New Work in der Pflege – Mut zur (digitalen) Entwicklung
Louise Enz – Paul Gerhard-Werk e.V.
Der Vortrag behandelte das Thema einer „Vision für eine bessere Arbeitswelt“ und griff dabei das Thema „New Work“ auf. Zu Beginn wurde klargestellt, dass die Digitalisierung zwar ein wichtiger Baustein ist, aber nicht der einzige Faktor für Veränderungen in der Arbeitswelt.
Es wurde betont, dass wir Utopien als Vision für eine bessere Arbeitswelt brauchen. Dies beinhaltet neue Organisationsstrukturen und veränderte Rahmenbedingungen. Eine Möglichkeit sei die Umsetzung agiler Arbeitsmethoden. Als aktuelle Herausforderungen wurden fehlende Visionen, unzureichende digitale Strukturen, mangelnde Offenheit für Neues und ein ausgeprägtes Silodenken genannt.
Louise Enz erläuterte, dass wir Agilität und Flexibilität brauchen. Neue Tools eignen sich zwar gut für Teilbereiche, aber nicht überall. Es wurde die Ansicht vertreten, dass wir kein Verständnisproblem haben, sondern ein Umsetzungsproblem – es herrsche „Projektkrankheit“.
Abschließend wurde die provokante Vision eines „Magnet-Pflegeheims“ als Ziel und Inspiration für eine bessere Arbeitswelt in der Pflege angeführt. Als Schlüsselbotschaft blieb der Appell: „Mut!“.
Die Präsentationsfolien können Sie hier finden.
Workshop : Vernetzte Zusammenarbeit
Im Workshop „Vernetzte Zusammenarbeit“ drehte sich alles um die Versorgung über Sektoren- und Professionsgrenzen hinweg. Thomas Heine (PflegeDigital@BW) übernahm die Moderation und führte dann mit Prof. Dr. Marcel Sailer (DHBM – Duale Hochschule Baden-Württemberg / Heidenheim) und Harry Schmidt (BWKG – Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft e.V.) durch den Workshop. Marcel Sailer (DHBW) ging in seinem Kurz-Impuls auf die Synergien und Unterschiede zwischen Telemedizin und Telepflege ein und auf die damit einhergehenden Fragestellungen der professionsübergreifenden Diagnosemöglichkeiten. Ein weiterer Fokus war das Thema Delegation. Anhand eines kanadischen Modells wurde gezeigt, wie neben Aufgaben auch Ziele delegiert werden können und Zusammenarbeit somit ein Schlüsselthema wird. Nachfolgend stellte Harry Schmidt in seinem Impuls klar, dass die Situation: „steigender Bedarf, sinkende Ressourcen“, ein Umdenken in der Versorgungsgestaltung erfordert und füllte dies mit Beispielen und Gedanken zu neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf. In der anschließenden Diskussionsrunde drehte sich dann alles darum, wie Technik als Werkzeug unterstützen kann – jedoch, dass die Prozesse in der digitalen Transformation von den Akteuren gemeinsam gestaltet werden müssen. Die Präsentationsfolien können Sie hier finden.
Workshop : Steuerung und Verwaltung
Im Workshop stellten Frank Kontermann und Johannes Sipple unter Moderation von Jesse Berr ihre Erfahrungen auf dem Weg zu einer digitalisierten Pflegeeinrichtung vor. Der Fokus lag auf der Frage, wie Digitalisierung Management- und Verwaltungsprozesse unterstützen kann.
Als Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung ist zunächst eine leistungsstarke IT-Infrastruktur mit Glasfaseranschluss und Cloud-Nutzung wichtig. Eine moderne Pflegedokumentationssoftware mit digitalisierten Abrechnungen und Self-Service-Plattformen für Mitarbeiter stellt einen weiteren Baustein dar. Ein guter Anbietersupport ist essenziell. Anstatt perfekte Lösungen abzuwarten, empfehlen die Referenten 60-70%-Lösungen als Einstieg und kontinuierliche Anpassung.
Die Pandemie war ein Treiber für Digitalisierung wie Online-Schulungen und mobile Endgeräte für Mitarbeiter. Kritisch wurde der perspektivisch sinkende Bedarf von Verwaltungspersonal diskutiert. Es sollte offen kommuniziert werden, dass es zu Veränderungen im Anforderungsprofil kommen wird. Aus dem Plenum kamen Rückmeldungen zu stockenden Digitalisierungsprozessen in stationären Einrichtungen aufgrund von Kompetenz- und Finanzierungsproblemen.
Der Ausblick ging zur Telematikinfrastruktur für die Zusammenarbeit mit Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken zur Entlastung bei Verwaltungsaufgaben.
Workshop : Interaktion und Kommunikation
Im „Interaktion und Kommunikation“ wurden Technologien beleuchtet, die zur Unterstützung der Kommunikation und Interaktion zwischen Pflegenden, pflegebedürftigen Personen und ihren Angehörigen eingesetzt werden können.
Nach einer kurzen Einführung in die Thematik durch Kirsten Heiland (PflegeDigital@BW) gaben Maria Nothacker und Katrin Öhlschläger von der Evangelischen Heimstiftung Einblicke in die Nutzung einer App, die entwickelt wurde, um die Kommunikation zwischen Pflegeeinrichtungen und Bezugspersonen zu erleichtern. Die App ermöglicht es, Angehörige über aktuelle Ereignisse in der Einrichtung und über Aktivitäten ihrer Familienmitglieder zu informieren und Nachrichten auszutauschen. Diese innovative Lösung trägt aus Sicht der Referentinnen dazu bei, die Transparenz für die Angehörigen zu verbessern und sie am Alltag der Bewohner*innen teilhaben zu lassen. Durch direkte Rückmeldungen der Bezugspersonen erfahren aber auch die Mitarbeitenden Wertschätzung.
Des Weiteren berichtete Verena Minich von der Diakonie Württemberg über das Projekt Online-Pflegeberatung. Dieses Projekt zielt darauf ab, Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine leicht zugängliche Plattform für Pflegeberatung anzubieten.
Abschließend durften die Teilnehmenden eine kurze Kommunikation zwischen Manuel Höflein (PflegeDigital@BW) und dem sozialen Roboter Navel erleben und diskutierten über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes sozialer Roboter in der Pflegepraxis.
Workshop : Körpernahe Pflege
Im Workshop „Körpernahe Pflege“ stand der Einsatz von Techniken anhand konkreter Erfahrungen der Teilnehmer im Mittelpunkt. Zu Beginn gab es Mini-Impulse von Arthur Schimanski, Pia kleine Stüve und Robert Rohrer zu Techniken, die in ihren Einrichtungen genutzt werden.
Der Austausch orientierte sich an vier Feldern:
- Aktuell genutzte Technik, geplante Neuanschaffungen, Unsicherheiten
- Erfolgreiche Implementierungen, Highlights
- Hindernisse, Lowlights
- Conclusio, Zusammenfassung, Essenz
In einem offenen Gespräch wurden Beispiele aus dem Alltag und aktuelle Planungen diskutiert. Stück für Stück näherte man sich den zentralen Fragen rund um den Technkeinsatz: Welche Techniken, Funktionen, Probleme, Rahmenbedingungen, Nutzen, Herausforderungen und Erfolge. Themen waren u.a. Personal, Ausbildung und spezifische situative Herausforderungen.
Im Kern ging es darum, die Motivation hinter dem Technikeinsatz zu hinterfragen: Warum machen wir das Alles? Stichworte wie „Mensch im Zentrum“, „Helfen“ etc.
Methodisch sollten die Teilnehmenden durch Leitfragen zur eigenen Motivation geleitet werden. Über Erzählungen, Beurteilungen und nutzerzentrierte Diskussionen konnten sie sich austauschen.
Im Zentrum stand die Frage nach dem WARUM – warum benötigen wir bestimmte Techniken und wie können sie sinnvoll eingesetzt werden? Angelehnt an Sinek’s „Golden Circle“ ging es um Ziele, Prozesse und Ergebnisse.
Workshop im Foyer : Strukturen und Rahmenbedingungen
Der Workshop „Strukturen und Rahmenbedingungen“ war bewußt offen gestaltet, die Themensetzung sollte und wurde nicht von der Diskussionsleitung vorgegeben, sondern im Wesentlichen durch die Teilnehmenden gestaltet. Neben dem Aspekt der Finanzierung von Technik und Stellen in der Sozialwirtschaft und dem Hinweis auf die Selbstverwaltung wie auch dem Drängen, daß hier die politische Ebene sich doch etwas mehr einbringen möge, war vor allem auch die Frage nach Personal eine oft geäußerte und drängende Sorge von Führungskräften ebenso wie von der Pflegebasis. Daß auf der Basis des momentanen Bedarfs und der sich weiter verknappenden Anzahl an Pflegekräften in der Zukunft grundsätzliche Änderungen notwendig sind, war Konsens. In wieweit hier Technik hilfreich sein kann und ob „Künstliche Intelligenz“ einen Unterschied machen könnte, wurde kontrovers besprochen. Einigkeit bestand darüber, dass zu den Zeiten als noch Wehr- und Zivildienst als Gesellschaftsaufgabe zu leisten war, gerade der Zivildienst in sozialen Einrichtungen, eine ganze Reihe von jungen Menschen die Entscheidung für einen Beruf in sozialen Einrichtungen gefestigt hat. Teilnehmende berichteten, daß für viele der aktuellen Führungskräfte der Zivildienst der direkte oder auch indirekte Weg über ein Studium in entsprechende Einrichtungen war. Als Kommentar wurde eingebracht, daß durch die aktuellen geopolitischen Veränderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen nun auch neue Wege diskutiert werden und eine neue Form von Diensten für die Gesellschaft diskutiert werden kann und muß.
Podiumsdiskussion: Zukunft der Pflege. Was macht Technik mit der Profession?
Zum Abschluss des Fachtages diskutierte ein junges Podium unter der Moderation von Kirsten Heiland und Jesse Berr über die Frage, wie Technik den Pflegeberuf verändert.
Lukas Findeisen (Referent für Digitalisierung und Innovation – DRK Baden-Württemberg und Programm Manager – Carl-Zeiss-Stiftung), betonte die Bedeutung des aktiven Einbringens aller Beteiligten für eine erfolgreiche Mitgestaltung des digitalen Wandels. Insbesondere beim Thema KI gebe es derzeit rasante Entwicklungen, die auch in der Pflege viel bewegen werde, beispielsweise im Bereich Sprache und Kommunikation.
Julian Herlan (Wohnbereichsleiter – Sozialwerk Bethesda KÜP Mühlacker), berichtete von der Herausforderung in der Praxis aus einer Vielzahl von Technikangeboten auszuwählen. Um im Pflegealltag zu unterstützen, müssten von Anfang an die Themen Fehlererkennung und -lösung sowie Fragen der digitalen Kompetenz mitberücksichtigt werden.
Pia kleine Stüve (Referatsleiterin Assistenzsysteme und Digitalisierung – Evangelische Heimstiftung) hob die Potenziale von Digitalisierung hervor. Demnach sei durch die Digitalisierung im Pflegebereich eine Steigerung der Lebensqualität für Klient*innen möglich und Organisationen könnten Prozesse optimieren sowie die Pflegequalität steigern. In Modellprojekten hätte man erfolgreich verschiedene Lösungen erprobt, aktuell beispielsweise im Bereich der Sturzerkennung.
Frédéric Miller (Abteilungsleiter – Mathilde-Planck-Schule Ludwigsburg), berichtete aus seinen Erfahrungen als Lehrer in der generalistischen Pflegeausbildung. Sein Eindruck sei, dass der gestiegene digitale Medienkonsum der jüngeren Generation nicht automatisch bedeute, dass diese intuitiv mit digitaler Technik in der Pflege zurechtkämen. In den Rahmenlehrplänen und in der Stundentafel sei leider kaum Raum vorgesehen um entsprechende Kompetenzen vermitteln zu können.
Lisa Geist (Studentin „Digital Health“ – Hasso Plattner Institut), sah das größte Potenzial für den Einsatz von Technik bei Wearables und im Bereich des Monitorings. Aktuell sei die Umsetzung jedoch erschwert, weil die Branche zeitgleich viele andere Herausforderungen zu meistern hätte. Akademisierte Pflegekräfte seien wichtige Brückenbauer um zwischen Pflege und Technikentwicklern zu vermitteln.